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Eingesperrt sein – Eine Frage der Perspektive

08.09.2019
Noch vor 30 Jahren war Österreich von seinen östlichen Nachbarn durch den Eiserne Vorhang getrennt. Stacheldrahtzäune und Minenfelder haben nach dem 2. Weltkrieg das Überschreiten der Grenze unmöglich gemacht. Familien und Menschen wurden für viele Jahrzehnte voneinander entzweit.
Künstlerin Cornelia Gillmann zu den Nachwirkungen des Eisernen Vorhangs: „Alleine an den sehr niedrigen Grundstückspreisen kann man erkennen, dass die Angst, direkt an der Grenze zu wohnen, allgegenwärtig ist.“
Im Rahmen der Podiumsdiskussion „Grenzerfahrungen im östlichen Österreich“ am 11.9. um 18:30 Uhr, Dachsaal VHS Urania, wird der Frage nachgegangen, wer eigentlich wen als „eingesperrt“ oder als „ausgesperrt“ betrachtet hat. Die Generation vor 1945 empfand in vieler Hinsicht nicht die Menschen HINTER dem Eisernen Vorhang als „eingesperrt“ – sondern vielmehr sich selbst! – abgeschnitten von ihren Bezugspunkten (familiär, wirtschaftlich, kulturell..) mit denen sie aufgewachsen war. Diese Befindlichkeit wurde als Erzählung vielfach auch in die folgenden Generationen weitergetragen und prägt die „Identität“ der Gesamtregion bis heute.

Verschiedene Perspektiven

Wir haben zwei Podiumsteilnehmerinnen, die unterschiedliche Generationen vertreten, kurz zu Wort kommen lassen.

Cornelia Gillmann (Jahrgang 1991) 
Fotografin und Künstlerin
VHS Wien: Mit deinen 28 Jahren hast du den Mauerfall gar nicht selbst miterlebt und doch hatte die Zeit des Eisernen Vorhangs einen prägenden Einfluss auf dich. Wie kam es dazu?
Cornelia Gillmann: Da meine Familie zu den Donauschwaben zählt, hatten wir auch Verwandtschaft in den benachbarten Ländern. Wie mir meine Mutter erzählt hat, waren sie auch während der Zeit des Eisernen Vorhangs immer wieder in Ungarn, was ich selbst kaum glauben konnte. In die Slowakei hingegen konnten sie nicht so einfach und es traute sich auch niemand in die Nähe der Grenze, denn man hörte immer wieder Schüsse aus dem Bereich der March. Ich kann mich auch noch sehr gut an die kontrollierten und bewaffneten Grenzübergänge erinnern, die mir als Kind auch Unbehagen bereitet hatten.
VHS Wien: An welchen Situationen merkst du, dass die Zeit des kalten Krieges Spuren in den Menschen und der Gesellschaft hinterlassen hat?
Cornelia Gillmann: Trotz EU sind die Grenzen in den Köpfen vieler Menschen noch immer vorhanden, teilweise tief verankert und werden häufig an deren Kinder weitergegeben. Alleine an den sehr niedrigen Grundstückspreisen kann man erkennen, dass die Angst, direkt an der Grenze zu wohnen, allgegenwärtig ist.

Heike Hausensteiner (Jahrgang 1971)
Journalistin mit Europa-Schwerpunkt
VHS Wien: Du bist ja unweit der Grenze zum Ostblock aufgewachsen und hast diese Zeit als Kind und Jugendliche miterlebt. Welche Erlebnisse haben sich bei dir eingeprägt?
Heike Hausensteiner: Ich hatte eine angeheiratete Großtante, "Margit-Tante", aus Debrecen in Ost-Ungarn, die alle 1-2 Jahre Besuch aus ihrer Heimat bekam. Es war immer spannend mitzuverfolgen, ob die ungarischen Verwandten der "Margit-Tante" ihr Visum für den regelmäßigen Besuch erhielten oder nicht. Und obwohl ich nur 20km entfernt von der ungarischen Grenze aufwuchs, war mir Italien als Land - und Urlaubsdestination - emotional immer viel näher.
VHS Wien: Wo sind die Nachwirkungen des kalten Krieges noch bemerkbar?
Heike Hausensteiner: Ich habe den Eindruck, dass die Grenze des Eisernen Vorhanges in vielen Köpfen weiter besteht. Indem beispielsweise Dienstleistungen in Ungarn teilweise kategorisch abgelehnt werden (ZahnärztInnnen etc.) und indem ungarische oder slowakische WanderarbeiterInnen händeringend von österreichischen, grenznahen Betrieben für Tätigkeiten gesucht werden, die österreichische ArbeitnehmerInnen nicht übernehmen wollen (im Gastgewerbe-, Reinigung- oder Pflegebereich).

Einladung zum Zuhören und Mitdiskutieren

Komm zur Podiumsdiskussion „Grenzerfahrungen im östlichen Österreich“ am 11.9. um 18:30 Uhr, Dachsaal VHS Urania, um mehr über Grenzerfahrungen zu erfahren und mit zu diskutieren. Bei freiem Eintritt. 
Am Podium sitzen Zeitgeschichte-Experte Richard Hufschmied/Uni Wien, Journalistin Heike Hausensteiner und Künstlerin Cornelia Gillmann.

Diese Veranstaltung setzt den Auftakt zur Veranstaltungsreihe "9er Jahre", die von September 2019 bis Jänner 2020 an verschiedenen VHS Standorten stattfinden wird. Rund 50 Veranstaltungen, Vorträge, Workshops, Webinare, Exkursionen und Ausstellungen widmen sich einem "9er Jahr" und bieten einen spannenden Bogen an geschichtsträchtigen Ereignissen von 1099 bis in die Gegenwart.
Alle Infos hier: https://www.vhs.at/neun