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„Motl der Waisenknabe“ von Scholem Alejchem

Buchpräsentation am 29.3. in der VHS Hietzing

21.02.2023

Fast zwanzig  Jahrehatte Scholem Alejchem  den Wunsch, einenRoman über seine eigene Kindheit zu schreiben. Die letzten Kapitel derunvollendeten „Motl“-Erzählung sind unmittelbar vor dem Tod des Autors ScholemAlejchem 1916 in seinem Krankenbett entstanden.

Boris Brainin, der österreichische Exilautor, Übersetzer,Satiriker und Nachdichter, verfasste wiederum 1994 trotz schwerer Krankheitenund hohen Alters (90 Jahre) nach seiner Rückkehr aus Russland nach Österreichdiese Übersetzung des „Motl“ aus dem Jiddischen.

Eine zweifellos bemerkenswerte Parallele!

Über die Beweggründe, dieses Buch herauszugeben,berichtender Sohn von Boris Brainin – Valeri Brainin – und die HerausgeberErwinMatl sowie Leopold Hnidek vom Pilum Literatur Verlag.

Begrüßung und einleitende Worte vom Historiker Dr. Robert Streibel.

Ausschnitte aus „Motl, der Waisenknabe“ werden vorgetragenvon  Gertrud Hauck und Helene Levar.
Musikalische Umrahmung: Miron Vatlin (Urenkel von BorisBrainin), Klavier

Buchpräsentation
29. März 2023 19:00 Uhr 
CIARIVARI Wiener Theaterkeller
3., Hegergasse 9


Das letzte Werk von Boris Brainin: die „Motl-Übersetzung“

Boris Brainin, der in seiner russischen Strafgefangenen- undExilzeit Übersetzungen aus weit über zwanzig Sprachen veröffentlicht hatte,fehlte nach seiner späten Rückkehr nach Österreich das genaue Wissen über diezahlreichen Übersetzungen der Nachkriegsjahre im deutschsprachigen Raum.
Als er fast neunzigjährig im Jahre 1994 „Motl Peysi dem khazns; ksovim fun ayingl a yosem“ von Scholem Alejchem aus dem Jiddischen übersetzt hatte, schrieber in seinem Nachwort, das er mit einem seiner Pseudonyme – Sepp Österreicher –unterfertigte: „Meines Wissens ist der Motl bisher nicht ins Deutsche übersetztworden.“

Zu diesem Zeitpunkt gab es aber schon eine, die von GreteFischer, einer in Prag, im alt-österreichisch-ungarischen Kaiserreich,geborenen Journalistin und Pädagogin 1965 im deutschen Insel-Verlag erschienenwar.
Grete Fischer, die zunächst in Berlin berufstätig war und 1934 nachGroßbritannien emigrierte, wirkte danach nur noch in ihrer neuen Heimat und hatauch die „Mottl-Erzählung“ – wie auch andere jiddische Werke von London aus insDeutsche übersetzt.

„Mottl, der Kantorssohn“ in der Übersetzung von GreteFischer und „Motl, der Waisenknabe“ in der Übersetzung von Boris Brainin ähnelneinander stark, zeugen von einer sprachlich hohen Kompetenz der beidenÜbersetzer.
Vergleicht man die beiden Übersetzungen im Detail, kann man feststellen, dassBoris Brainin aufgrund seiner Biographie vielleicht ein wenig „Wienerischer“übersetzt hat. Das ist nicht weiter verwunderlich, ist doch das Wienerischereich an jiddischen Ausdrücken, entstanden durch Jahrhunderte lange Zuwanderungaus Ungarn, Böhmen, Mähren, Galizien und der Bukowina.

Wie diese Übersetzung das letzte Werk Brainins gewesen ist,so sind auch die letzten Kapitel der unvollendeten „Motl“-Erzählung unmittelbarvor dem Tod des Autors Scholem Alejchem im Mai 1916 entstanden. Fast zwanzigJahre hatte der Autor den Wunsch, einen Roman über seine eigene Kindheit zuschreiben.

Grete Fischer berichtet in ihren Nachbemerkungen, dassScholem Alejchem von seinem Krankenbett aus noch vier Tage vor seinem Tode dieganze Nacht, trotz starker Schmerzen, ununterbrochen an seinem „Motl“geschrieben hatte.

Es ist also durchaus wertvoll, die Übersetzung Brainins zulesen, nicht nur weil sie sein letztes literarisches Vermächtnis ist.Zweifellos gibt es nur wenige deutschsprachige Experten, die Jiddischbeherrschen und gleichzeitig gute Literaten sind, was zum Gelingen einer gutenÜbersetzung aber notwendig ist.

Es ist Valeri Brainin, dem Sohn von Boris Brainin, zuverdanken, dass er diese wertvolle Übersetzung seines Vaters bewahrt und demPilum Literatur Verlag zur Verfügung gestellt hat. Nach „Wridols Erinnerungen“(2019, Pilum Literatur Verlag) ist es nun das zweite Brainin-Buch, das ich fürdie posthume Veröffentlichung vermitteln durfte.

Erwin Matl, Februar 2023