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Portrait zeichnen und malen

24.11.2019
In der heutigen Zeit stellt man sich vielleicht die Frage, ob das Zeichnen und Malen von Portraits nicht schon längst obsolet geworden ist, da jeder Mann und jede Frau schon mit einem Smartphone bewaffnet sogar ein Selbstportrait oder salopp formuliert ein Selfie in Sekundenschnelle herstellen kann! Ja und so sieht es dann auch in den meisten Fällen aus! Jeder kennt sie, die Horrorselfies, überbelichtete und daher flach wirkende, Manga-artig verzerrten Gesichter. Jene Bilder, auf denen – so glaubt man – einen nicht einmal ein Gesichtserkennungsprogramm identifizieren könnte!

So ist auch die Portraitfotografie eine Kunst, bei der man wissen muss was ein gutes Portrait ausmacht.
Man muss wissen, was ein gutes Portrait ausmacht

Eine Verbindung zwischen KünstlerIn und Modell

Doch das gezeichnete oder gemalte Konterfei kann über die reine Abbildung des Gesichtes eines Menschen hinaus auch tiefe Einblicke in die Seele einer Person geben. Es entsteht eine seelische Verbindung zwischen MalerIn und Modell, die der Künstler oder die Künstlerin über die ganz persönliche malerische Handschrift in das Gemälde einfließen lässt. Man kann so viele Facetten eines Menschen in einem einzigen Bild vereinen, das den Betrachter in Erstaunen versetzt.
Nach und nach werden immer mehr Details hinzugefügt | ©
Es beginnt bei der Positionierung des Modells: der Lichteinfallswinkel und das Zusammenspiel von Licht und Schatten verleihen dem Gesicht nicht nur seine dreidimensionale Form, sondern erzeugen auch die Stimmung, welche auf dem Gemälde vorherrschen soll. Man muss als MalerIn ein Gefühl dafür entwickeln, welcher Blickwinkel für welches Gesicht geeignet ist. Ich spreche hier nicht nur von der berühmten Schokoladenseite einer Person. Die Art und Weise wie jemand den Kopf neigt oder auch gestreckt dem Betrachter oder der Betrachterin entgegenhält ist ein wichtiges Ausdrucksmittel. Dies kann auch einiges über den Charakter und die Stimmungslage der Portraitierten aussagen. Darum ist es äußerst wichtig, dass sich der Künstler oder die Künstlerin Zeit nimmt, das Modell zu betrachten und dessen Persönlichkeit auf sich einwirken zu lassen. Während dessen hat sich der oder die Modellsitzende entspannt und mit der inneren Ruhe, die er oder sie hoffentlich gefunden hat, auch eine bleibende Körperposition eingenommen!
Nun kann der Portraitist oder die Portraitistin, nachdem er oder sie diesen Eindruck verinnerlicht hat, beginnen, ein technisches Gerüst für das Bild zu erstellen. Hilfslinien wie die Augenachse, Kopfform, perspektivische Neigungen und Formen werden angelegt, ehe man in die detailliertere Erfassung der einzelnen Bereiche geht. Da das Modell unwillkürlich während der Sitzung ein wenig in sich zusammensinkt und auch ohne es selbst zu bemerken die Kopfhaltung geringfügig ändert, hat man mit einem Gerüst immer die Informationen der Ausgangsposition zur Verfügung. So vermeidet man mit einer derartigen Vorzeichnung zum Beispiel die schief im Gesicht sitzenden Augen. Ein Fehler, den man auf Zeichnungen von AnfängerInnen immer wieder sieht. Schließlich geht man daran, die Anatomie und ihre individuellen Formen und Abstände detailliert zu erfassen. Mittels Licht und Schatten – wohl gemerkt an den richtigen Stellen – modelliert man nun nicht nur die Ähnlichkeit zu der lebenden Person heraus, sondern wölbt auch scheinbar den Kopf dreidimensional aus der zweiten Dimension des Zeichenblattes oder Malgrundes heraus!

Licht und Schatten

Ein gutes Portrait zeichnet unter anderem aus, dass man den Eindruck hat, es käme dem Betrachter oder der Betrachterin räumlich entgegen. Dieser Eindruck wird im Endfertigungsstadium noch verstärkt, indem man die höchsten Lichter und tiefsten Schatten hinzufügt um es lebendig und kontrastreich zu gestalten.
Licht und Schatten verleihen dem Bild Lebendigkeit | ©
Bei zeichnerischen Techniken auf weißem Papier mit Bleistift, Kohle oder beim Aquarellieren müssen diese hellen Lichter im Arbeitsprozess ausgespart bleiben um das Papier hier als licht gebendes Element einzusetzen. Auf getöntem Papier oder einem Malgrund setzt man die hellsten Farben an diese vom Licht am meisten bestrahlten Stellen. Meist verwendet man warme Farben im Lichtbereich und kalte im Schatten. Beim Zeichnen verdichtet man die Schraffur, um Dunkelheit in all seinen Abstufungen darzustellen. Farben setzt man dementsprechend gemäß ihrem Lichtwert bzw. ihrer Farbtemperatur ein.
Das Objektiv einer Kamera erfasst die reale Lichtsituation, sieht man von Filterobjektiven und digitalen Nachbearbeitungen ab. Dies sind ja schon künstlerische Gestaltungstechniken. Der Portraitist oder die Portraitistin trifft diese Einstellungen und Entscheidungen in der eigenen Vorstellungskraft und lässt sie durch seine oder ihre Hand, mittels einer ganz persönlichen Farb- und Formensprache auf den Malgrund fließen.



Dieser Beitrag wurde von unserem Kursleiter Mario Schleinzer verfasst.