Vortragsreihe: Indigene Völker in Lateinamerika. Umwelt, Politik und Kultur

Vertreter*innen der indigenen Bevölkerung wurden in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu wichtigen gesellschaftspolitischen Akteur*innen: Sie gewannen als gut organisierte Gegner*innen transnationaler Ölgesellschaften und Bergbaukonzerne politische Relevanz, sie zeigten öffentlichkeitswirksam die anhaltende Zerstörung des Regenwalds auf und spielten eine tragende Rolle bei neuen Verfassungen in mehreren Staaten. In Ecuador hatten Indigene maßgeblich zum Sturz des Staatspräsidenten beigetragen, während in Bolivien völlig neuartige Formen „plurinationaler“ Regierungen initiiert wurden. Indigene Völker haben neue Deutungen der Geschichte europäischer Kolonialexpansion entwickelt und ein Gegenkonzept zur wachstumsorientierten globalen Wirtschaftspolitik entworfen. Obwohl die zahlreichen indigenen Völker demografisch gesehen in den meisten Ländern Minderheiten sind, können die Besonderheiten öffentlichen Lebens und der Politik dieses Kontinents am besten durch Beispiele indigener Partizipation und indigenen Aktivismus verdeutlicht werden.

In dieser Vortragsreihe wird den verschiedenen Dimensionen politischen Lebens und öffentlicher Diskurse, die die letzten Jahrzehnte Lateinamerika geprägt haben, nachgegangen. Die fünf Vorträge stehen zueinander in inhaltlichem Zusammenhang, können aber auch einzeln besucht werden.

Der Kontinent der Zukunft
Wem gehört die „Natur“ Lateinamerikas?

4. März 2021 | 18:30 - 20:00 Uhr | Online
Stefan Zweig nannte Brasilien auch angesichts seiner üppigen natürlichen Schätze das „Land der Zukunft“. Doch wem gehören natürliche Reichtümer, Bodenschätze, biologische Vielfalt des südamerikanischen Kontinents? Im Kampf um ihre Rechte und die Rechte der Natur widersetzen sich indigene Völker den zerstörerischen Aktivitäten von Bergbaukonzernen, Kraftwerksbauern oder Pharmakonzernen in ihrer Suche nach neuen pharmazeutischen Wirkstoffen im Regenwald. In dieser Einheit werden Ursachen und Hintergründe, Ablauf und nicht zuletzt Erfahrungen mit Lösungen derartiger Ressourcenkonflikte beleuchtet.

Plurinational!
Der Kampf um kulturelle Diversität und politische Partizipation.

18. März 2021 | 18:30 - 20:00 Uhr | Online
Spätestens seit den 1990er Jahren traten in Lateinamerika soziale Bewegungen auf, die neoliberale Reformen und Privatisierungsprogramme im großen Stil bekämpften. An der Spitze standen Organisationen und Aktivist*innen indigener Völker. Sie drängten alsbald auf mehr: Die gesamte Staatlichkeit sollte umgebaut werden. Neue Formen politischer Mitbestimmung wurden eingeführt und der Staat sollte Ausdruck politisch-kultureller Vielfalt werden. Lateinamerika wirft neues Licht auf kulturell-ethnische Vielfalt und radikaler Staatsumgestaltung „von unten“.

El buen vivir – das gute Leben für alle?
Der Beitrag Lateinamerikas zu globaler Wachstumskritik.

8. April 2021 | 18:30 - 20:00 Uhr
Weltweit wurde nach dem zweiten Weltkrieg ein wachstumsorientiertes Entwicklungsmodell propagiert: Akkumulation technischer Güter und Dienstleistungen sollte globale Armut verschwinden lassen.
Gleichzeitig mit der indigenen Bewegung in den Andenländern Südamerikas entstanden jedoch wachstumskritische Ansätze: Anstatt trügerisch-verlockendem „besseren“ Leben sollte das Gute Leben (buen vivir) angestrebt werden, das auf ökologischem Gleichgewicht und sozialer Verantwortung beruht. Der Ansatz des „Guten Lebens“ inspiriert heutzutage soziale Initiativen in Europa und anderen Regionen der Welt. In der Einheit wird untersucht, wie weit im „Guten Leben“ Weltbild und Erfahrungen indigener Völker Südamerikas stecken und wie weit der Ansatz Politik in Südamerika selbst beeinflusst.

500 Jahre Pandemie
500 Jahre soziale Ausgrenzung und kein Ende?

20. April 2021 | 18:30 - 20:00 Uhr
COVID-19 ist für die indigenen Völker Amerikas der bisher letzte Akt einer mehr als 500-jährigen Kolonialgeschichte, in der eingeschleppte Krankheiten immer wieder zu Massensterben, zur Entvölkerung ganzer Landstriche der sogenannten „Neuen Welt“ führten. Im Vortrag wird – ausgehend von diesem historischen Hintergrund – gezeigt, warum COVID-19 eine neue tödliche Bedrohung für diese Gruppen ist: Die Folgen sozialer Ausgrenzung und kultureller Marginalisierung können anhand des Auftretens von Pandemien griffig verdeutlicht werden. Schließlich werden Selbsthilfemaßnahmen bestimmter indigenen Gruppen aufgezeigt, die Vorbildwirkung für andere sozial schwache Bevölkerungsteile Lateinamerikas besitzen.

Bibel oder Pachamama?
Dekolonialisierung vom religiösen Imperialismus

6. Mai 2021 | 18:30 - 20:00 Uhr
Obwohl sich lateinamerikanische Staaten seit dem 19. Jahrhundert oftmals als „laizistisch“ definierten, orientieren sich Oligarchien und herrschende Schichten kulturell an Christentum und den iberischen „Mutterländern“. Konservative christliche Strömungen festigten hierarchische Gesellschaftsmodelle. In der nationalstaatlichen Symbolik und im Geschichtsbild sind europäische Eroberung, Christianisierung und „Erschließung der Wildnis“ Säulen propagierter nationalstaatlicher Identität.
Indigene Völker entwickeln heute Alternativen zu dieser eurozentrischen Sicht: Christliche inspirierter „Weltbeherrschung“ – „Macht euch die Erde untertan“ (Genesis 1.28) – wird Verantwortung um „Mutter Erde“ (Pachamama) entgegengesetzt. Koloniale Symbole sollen abgerissen oder umbenannt werden; dies führt zu erbitterten Konflikten: Erlebt Lateinamerika einen Kulturkampf zwischen Christentum und indigener Selbstbestimmung?
Univ.-Prof. Dr. René Kuppe, ist Jurist, Kulturanthropologe und pensionierter Universitätsprofessor. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Rechtsfragen, die mit indigenen Völkern und ethnischen Minderheiten in Zusammenhang stehen. Kuppe hat als Konsulent an internationalen Projekten mitgewirkt, bei denen es um Gesetzgebungsvorhaben oder um die Implementierung von Landrechen Indigener Völker in Lateinamerika oder im Arktischen Raum ging.
Preis: 6,- € pro Vortrag | gesamte Vortragsreihe: 30,- € | Mit Science-Card gratis!