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Kein Gen ist eine Insel

Wie Evolution von Nachbarschaft im Erbgut abhängt

29.10.2018
Gene sind keine Einzelgänger. Wie Perlen auf einer Kette sind sie nebeneinander auf langen DNA-Molekülen, den Chromosomen, aufgereiht. Bis jetzt war wenig darüber bekannt, wie die Position eines Genes auf einem Chromosom seine Evolution beeinflusst. Eine neue Studie von Călin Guet, Professor am Institut of Science and Technology Austria (IST Austria) und Magdalena Steinrück, PhD Studentin in Guets Gruppe, zeigte, dass die Nachbarschaft eines Gens mitentscheidend ist, ob und wie sich die Aktivität des Gens in der Evolution verändert. Die Studie erschien 2017 im Open Access Journal eLife.
Was sind eigentlich Gene?

Jeder Mensch besteht aus mehreren Billionen kleiner Einheiten, den Zellen, die gemeinsam Gewebe und Organe unseres Körpers formen. Je nach Ort im Körper unterscheiden sich die Zellen in ihrem Äußeren und ihrer Funktion. In (fast) jeder Zelle steckt ein Zellkern, in dem die Informationen zur Entwicklung und Funktion des Lebewesens in Form der DNA, der Desoxyribonukleinsäure, gespeichert sind. Die DNA ist ein vielfach um sich selbst gewundener Strang aus vielen Bausteinen, der wie eine Strickleiter aufgebaut ist. Das Gerüst bilden hierbei Zucker und Phosphat, die Sprossen bestehen aus den sogenannten Nukleinbasen: Adenin (A), Thymin (T), Cytosin (C) und Guanin (G). Die unterschiedliche Reihenfolge dieser Basen bilden hierbei den „genetischen Code“, der dann über verschiedene Zwischenschritte in kleine Eiweißbestandteile übersetzt wird, die den Zellaufbau und die Funktion der Zelle steuern. Ein bestimmter Abschnitt auf unserer DNA, der die Informationen für die Herstellung solch kleiner Eiweißbestandteile liefert, nennt sich Gen. Der Mensch besitzt über 20.000 solcher Gene, die die Mechanismen und Eigenschaften unseres Körpers steuern. Gene werden oftmals auch als Merkmalsanlagen bezeichnet, da die Informationen in Genen bestimmte Funktionen übernehmen, etwa die Ausprägung der Augen- oder Haarfarbe. Alle Gene zusammen bilden so den genetischen Code, der von Generation zu Generation weitergegeben wird und den Bauplan unseres ganz individuellen Körpers liefert.

Unser Erbgut, die DNA, ist in den Zellen unseres Körpers auf kleinstem Raum verpackt. Sie besteht aus vier verschiedenen Bausteinen, deren Abfolge bestimmte Informationen liefern und sogenannte Gene bilden.  ©2017, pixabay
Von Bakterien bis hin zum Menschen hängt die Art und Weise, wie Lebewesen aussehen und funktionieren, auch davon ab, wie viel Produkte jedes Gens hergestellt werden, also wie aktiv die Gene sind. Die Aktivität eines Gens kann sich durch spontane Mutationen ändern, also durch vererbbare Veränderungen in der DNA. Diese können dazu führen, dass ein Lebewesen besser an seine Umgebung angepasst ist – oder schlechter. Zum Beispiel kann ein Bakterium, welches mehr von einem Protein erzeugt, das ein Antibiotikum ausschleust, überleben, während seine Mitstreiter von dem Antibiotikum getötet werden. In ihrer Studie wandten Steinrück und Guet experimentelle Evolution an, um zu untersuchen, wie die Position eines Gens auf dem Chromosom Mutationen beeinflusst, die die Aktivität des Gens erhöhen.
Magdalena Steinrück erzählt am 31.10. im Planetarium über ihre spannenden Forschungsergebnisse ©2018, Magdalena Steinrück
Die Forscher veränderten die DNA des Darmbakteriums Escherichia coli und fügten ein Gen für Antibiotika-Resistenz an verschiedenen Positionen des Bakterienchromosoms ein. Dieses Resistenzgen erlaubt es dem Bakterium, das Antibiotikum Tetracyclin aus der Zelle zu pumpen. Am Beginn des Experiments war das Gen fast vollständig ausgeschalten. Die Forscher fügten dann den Bakterien mehr und mehr Tetracyclin zu. Dadurch übten sie einen Selektionsdruck auf die Bakterien aus, das Gen durch Mutation zu aktivieren – denn eine höhere Produktion des Resistenzgens erlaubt es den Bakterien, mehr Antibiotikum herauszupumpen, so dass sie sich vermehren und überleben. Die Autoren fanden, dass die Bakterien wesentlich öfter überlebten, wenn sich das Resistenzgen an bestimmten Stellen des Chromosoms befand im Vergleich mit anderen Stellen. Das geschieht, weil die Nachbarschaft des Gens beeinflusst, welche Arten von aktivierenden Mutationen zur Verfügung stehen – manche Mutationen können nur vorkommen, wenn die benachbarten Gene dies zulassen.
Die ForscherInnen zeigen, dass Gene Mutationen und das Anpassungspotential benachbarter Gene beeinflussen können. Die Organisation von Genen auf dem Chromosom ist daher sowohl Ursache als auch Wirkung von evolutionärer Veränderung, erklärt Călin Guet. Dieses Ergebnis hat entscheidende Bedeutung, zum Beispiel für das globale Gesundheitsproblem Antibiotikaresistenz. Magdalena Steinrück dazu:
  Es ist vergleichbar mit der Entwicklung von Menschen: Menschen in unserer Nachbarschaft können einen großen Einfluss darauf haben, wie unsere Zukunft aussieht. Unsere Studie zeigt, dass Antibiotikaresistenz, die durch genaktivierende Mutationen entsteht, stark von der Nachbarschaft des Gens abhängt.
Der Einfluss von chromosomaler Nachbarschaft wurde bisher nicht ausdrücklich untersucht. In Zukunft könnten solche Ergebnisse helfen, besser vorherzusagen, ob neue Antibiotikaresistenzen zu erwarten sind.

Mehr zu diesem spannenden Thema gibt es am Mittwoch um 19:00 Uhr mit Magdalena Steinrück im Planetarium!
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Text:
Angelika Pointner,  Magdalena Steinrück
(Erstautorin der Studie)

Originalartikel:
Magdalena Steinrueck and Călin Guet:
 “Complex chromosomal neighborhood effects determine the adaptive potential of a gene under selection”, elife 25. Juli, 2017